Flussrauchen am Rhein – 215. Tag

Die Schweizer Fahne in jeder Blickachse

Stein am Rhein – Schaffhausen / 21.10.2010 / 215. Tag

Die Sonne steigt langsam von Osten über den Berg, als ich mit Emma Richtung Schaffhausen starte. Die linke Seite des Rheins liegt schon im Sonnenlicht während Richtung Westen Nebel aus dem Wasser steigt. Die Menschen am Rhein sagen dazu Flussrauchen. Hoch oben auf Burg Hohenklingen flattert weithin sichtbar die Schweizer Fahne. Auch an den kleinen Wingertshäuschen im Weinberg zeigt man Flagge. Fast in jeder Blickachse werde ich auch meinem fünfstündigen Weg immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich in der Schweiz befinde.

Autofahrer, die in den frühen Morgenstunden losfahren, müssen erst den Regen der letzten Nacht beseitigen. Nicht auf der Straße sondern auf den Scheiben. In Stein am Rhein höre ich zum ersten Mal wieder das Geräusch, wie Autofensterscheiben von ihren Besitzern frei gekratzt werden. Vier Wochen muss ich noch gehen, denke ich, es kann verdammt kalt werden.

Wir wandern für längere Zeit in Ufernähe bevor wir an einer großen Rheinbiegung, das Ufer verlassen müssen und in den nahe gelegen Mischwald wandern. Mitten im Wald steht ein Grenzstein von 1839 und zwei runde Eisenstangen, eine Stange ist mit rot-weißer Farbe angemalt, die andere in den Farben schwarz-rot-gold.

Kurz vor Gailingen erreichen wir wieder das Flussufer. Das Wasser ist glasklar, große und kleine Fische wuseln flink hindurch.

Zwischen dem deutschen Gailingen und dem schweizerischen Diessenhofen verbindet eine überdachte Holzbrücke die Schweiz mit Deutschland. Dort wartet eine Überraschung auf mich. Zwei deutsche Zollbeamte überwachen auf deutscher Seite den Aus- und Einreiseverkehr. Es sind die ersten Zollbeamten auf die ich bei meiner nun über sieben Monate dauernden Wanderung treffe! Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre interessante Einzelheiten des deutschen Grenzverkehrs. Etwa 30.000 Zollbeamte sind noch im Dienst, an Flughäfen, an innerdeutschen Zollstationen oder im Überwachen der Straßen hinter den Grenzübertritten. Nur etwa 300 Zollbeamte versehen den Dienst so wie die beiden, noch unmittelbar an Grenzübergängen auf der Straße. Da die Schweiz das einzige Drittland neben den angrenzenden Eurostaaten ist, wird der Dienst auch nur noch an der schweizerischen Grenze versehen. Die Zöllner auf schweizerischer Seite, so die beiden deutschen Zollbeamten, haben „sich längst aus dem Staub gemacht“.

Es herrscht reger Grenzverkehr an diesem Morgen. Viele Autofahrer halten kurz an, um sich irgendwelche Ausweispapiere unterschreiben und abstempeln zu lassen. Die beiden haben keine Langeweile.

Ich wandere mit Emma weiter am Rhein Richtung Büsingen. Büsingen ist die einzige Gemeinde Deutschlands, die eine Exklave des Bundesgebiets bildet. Der Ort ist gänzlich von Schweizer Staatsgebiet umgeben. Die Kantone Schaffhausen, Zürich und Thurgau grenzen unmittelbar an Büsingen.

Christian Schmid aus Schaffausen

Ein geteerter Feldwirtschaftsweg führt direkt auf den Ort zu. Eine ideale Radfahrstrecke denke ich, als mir ein Radfahrer auch schon entgegenkommt. Kurz vor mir wird er langsamer und mustert mich ausgiebig. Er trägt einen Fahrradhelm, eine runde Brille und sein Gesicht ist blank rasiert. Sein Blick lässt nicht von mir los. Ah, denke ich, wahrscheinlich gibt es jetzt eine Belehrung eines scharfen Wildaufsehers oder Jägers weil Emma, immerhin ein Jagdhund, ohne Leine durch sein Revier läuft. Ich werde unruhig, der Blick des Radfahrers ist weiterhin unmittelbar auf mich gerichtet. Da öffnen sich seine Lippen und ich höre: „Was guckst du mich so blöd an?“ Die Stimme kenne ich! Lachend fallen wir uns in die Arme. Es ist Christian Schmid aus Schaffhausen, den ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Vor einigen Wochen hatten wir uns telefonisch für den heutigen Abend in Schaffhausen verabredet. Allerdings kannte ich Christian nur mit blank polierter Glatze (sieht man nicht unter dem Helm) und einem dicken Rauschebart im Gesicht. Außerdem hatte ich ihn an dieser Stelle mit dem Fahrrad auch nicht erwartet. Nach kurzem Plausch fährt er weiter und ich laufe Richtung Büsingen.

Am Ortsrand lese ich: „Büsingen, die deutsche Gemeinde in der Schweiz, umfasst eine Gemarkung von 7,62 Quadratkilometer. Das Leben und das Schicksaal des Dorfes sind durch die besondere Lage als deutsche Exklave (Gebietsausschluss) und schweizerische Enklave (Gebietseinschluss) geprägt worden. 1770 verkaufte Österreich seine landgräflichen Rechte über die Gemeinden Dörflingen und Ramsen an Zürich. Im Pressburger Frieden von 1805 ging Büsingen zusammen mit der Landgrafschaft Nellenburg an Württemberg und kam 1810 zum Großherzogtum Baden. 1835 trat Baden dem deutschen Zollverein bei. Aufgrund seiner Lage wurde Büsingen zum Ausschlussgebiet, das heißt deutsches Zollausland“.
Die letzte Chance der Büsinger, der Schweiz angegliedert zu werden, bot sich 1956. Damalige Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland führten allerdings zu keinem Ergebnis in dieser Angelegenheit. Am 4. Oktober 1967 trat der neue Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz in Kraft, der den rechtlichen Status von Büsingen regelt. Büsingen, das zum Landkreis Konstanz (KN) gehört, hat sogar ein eigenes Auto-Kennzeichen: BÜS.
Am Ortsrand von Büsingen wehen friedlich nebeneinander die Fahnen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz. Im Ortskern befinden sind die Telefonhäuschen der Deutschen und Schweizerischen Telecom direkt nebeneinander. Über dem Postamt lese ich: D-78266 Büsingen und CH-8238 Büsingen.
Hinter Büsingen verläuft der Weg zwischen Straße und Rhein. Christian kommt von seiner Trainingsstrecke zurück und schiebt sein Fahrrad bis Schaffhausen neben mir her. Für den Abend verabreden wir uns im Schaffhauser Blauburgunderland zum Essen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*