Fremde Heimat. Aufbruch, Liebe und Ankommen
Görlitz – Ostritz / 21.07.2010 / 123. Tag
Von der Obermühle in Görlitz wandere ich mit Emma am schattigen Neißeufer aus der Stadt. An einen Schwarz-Rot-Goldenen Markierungspfosten hat die Kuss-Gang von Görlitz ihre Spuren hinterlassen. Hinter Weinhübel erreichen wir das ehemalige Braunkohletagebaurevier. 1997 kam das Aus und mit einem Schlag verloren 8000 Menschen ihre Arbeit. Mitten im ehemaligen Revier, im Dreieck der Orte Klein Neundorf, Jauernick-Buschbach und Berzdorf ist ein Feriengebiet mit einem 950 ha großen See entstanden. Die Umstrukturierung hat begonnen. Außerhalb von Hagenwerder entdecke ich an einer Industriebrache ein Plakat, das auf eine Theaterveranstaltung in Ostritz hinweist. Theater von Bürgern für Bürger von Andreas Neu aus Berlin. Der Titel: Fremde… Heimat. Aufbruch, Liebe und Ankommen im Wandel der Zeit. Der Untertitel erinnert mich an das Heimat-Epos von Edgar Reitz.
Der Begriff Heimat beschäftigt mich seit Jahrzehnten. Seit Monaten wandere ich entlang der Grenze meines Heimatlandes. Aber ist er Weg entlang des Oder-Neiße-Wegs meine Heimat? Fremde Heimat? Kann Heimat fremd werden? Wird einem beim Verlust der Arbeit die Heimat fremd? Ist der Arbeitsplatz ein fester Bestandteil von Heimat? Falle ich ins Bodenlose, ins Heimatlose wenn ich keine Arbeit mehr habe? Ich hänge diesen Gedanken nach und wandere ohne wirklich wahrzunehmen. Fremde Heimat hat sicher mit dem Verlust von Vertrautem zu tun. Hier in der Grenzregion habe ich in den letzten Tagen heimatvertriebene Menschen kennen gelernt. Ist Heimat durch eine neue, fremde Heimat zu ersetzen?
In meiner Heimat kenne ich meine Wege, wandere ohne Wanderkarte, kenne meinen Bäcker, meine Marktfrau. Spreche die Sprache der Menschen die mir begegnen. Heute sind mir sehr viele Menschen begegnet, die mir nicht einmal mein „Guten Morgen“ erwidert haben. Grußlos durch fremde Heimat. Ich verspüre eine Art Heimweh. Hier ist nicht meine Heimat. Hier bin ich auf Zeit. Heimat hat etwas mit wohl fühlen zu tun. Heute habe ich mich nicht wohl gefühlt. Ich kann nicht einmal genau sagen woran es lag.
Außerhalb von Hagenwerder erinnert ein riesiger Braunkohlebagger und Teile des ehemaligen Braunkohle-Kraftwerks an die Zeit des Braunkohletagebaus in dieser Region. An einem kleinen Baggersee machen wir Rast. Eintritt 1,50 €. Da Emma und ich nicht baden wollen dürfen wir ohne Passierschein in den Schatten.
Anschließend wird es heiß. Kaum noch Schatten auf dem Weg nach Ostritz. Kleine Pausen für Herr und Hund werden zwingend. In Ostritz , in der Nähe des neu gestalteten Marktplatzes, die letzte Rast im Cafe in der v.-Schmitt-Straße. In Ostritz übernachten wir in einer ehemaligen Weberei direkt am Neißeufer. Im schattigen Biergarten des Hotels „Neißeblick“, unmittelbar an der polnischen Grenze genieße ich ein Feierabendbier.